Gespräch mit
B: Zu unserem Thema der Fusionen und Globalisierung.
Ich habe Fragen zu Globalisierung und zu Megafusionen aufgestellt. Teilweise
kommen sie aus dem Bauch heraus. Es geht darum, inwieweit Geldfluss, vor
allem im Hinblick auf die Globalisierung, einen kulturellen Einfluss hat.
Dies ist insoweit interessant, wenn man nachliest, was es überhaupt
ist: Der immer abstrakter werdende Tausch! Da tauchen Parallelen zur ganzen
Kunstgeschichte, zur Geschichte der Kultur in der Moderne auf, die eine
Abstraktion erfunden hat.
K: Ja, ja natürlich.
B: Im Prinzip geht es in diesem Kontext um Werte und Wertvorstellungen.
Ich möchte die Fakten heutiger Verbindungen von Wirtschaft, Geldfluss,
Wert und Kultur besser beschreiben können. ... Das ist natürlich
eine prinzipielle Frage, inwieweit auch Veränderungen, also kulturelle
Veränderungen, an der Masse des Geldflusses festzumachen sind.
Da kann natürlich ...
K: Ich denke, von der Definition ausgehend, so ist eigentlich
Globalisierung eine Integration verschiedener Länder. Dann werden
damit ja auch Länder integriert, die unterschiedliche Kulturen
haben. Insofern könnte man sich schon denken, dass der wirtschaftlichen
Integration eine kulturelle folgt. Was ... also ... ein Stichwort dazu
wäre: Global Village. So ist vorzustellen, dass die Welt zu einem
Dorf verschmilzt und damit im nachhinein auch die verschiedenen Kulturen.
Das ist teilweise schon feststellbar. Doch gibt es auch Gegentendenzen.
... Es ist schichtspezifisch, ...
B: Schichtspezifisch?
K: Ja, ich denke, an die kulturellen Verschmelzungen kann
sich nur die Oberschicht halten, ... Nun sagt man auch ganz plakativ,
dass der deutsche Banker und der chinesische Banker mehr an Wertvorstellungen
gemeinsam haben als der chinesische Banker mit dem chinesischen Arbeiter.
Das war früher sicher anders, als die chinesische Kultur und die
deutsche Kultur nichts gemein hatten. Heute gibt's, vielleicht eher
oben raufgesetzt, eine Kultur der Leute, die sich international relativ
frei bewegen, die dann auch gemeinsame Wertvorstellungen haben.
B: Doch damit stossen wir gerade auf die zentralen Probleme
oder Tatsachen, die wir ja leben/erleben, wenn gewisse Fusionen gemacht
werden, aber keine kulturellen Verbindungen bestehen. Darüber haben
sie auch geschrieben. ...
K: Bei Fusionen von Konzernen denk' ich, ... klar, also
eigentlich könnte man sich vorstellen, dass Fusionen über
nationale und kulturelle Grenzen hinweg eine Bereicherung würden,
wenn eben die Leute, auf die es ankommt, eine ähnliche Kultur hätten.
Eigentlich sieht man daran, wie es läuft oder wie es doch nicht
läuft ... Aber dabei kann eigentlich von einer Einebnung kultureller
Bestrebungen nicht die Rede sein. Es gibt nach wie vor beträchtliche
Unterschiede in der Geschäftswelt, die Schwierigkeiten machen,
wenn man Leute zusammenführt, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen
kommen, wobei es sicherlich wesentliche Unterschiede gibt zwischen der
asiatischen Kultur und der amerikanisch- abendländischen. Da bestehen
sicherlich die grössten Unterschiede. Aber auch innerhalb Europa,
ich meine zwischen der germanischen und der südeuropäischen
Geschäftswelt gibt es Unterschiede, die sich auswirken. ...
B: Ich erinnere mich gerade an einen Artikel, den ich gelesen
habe. Und zwar beschreibt dort Hans Günter Holl, ein Essayist,
die Konzentration in der Moderne auf Tausch- oder Abstraktionsprinzipien,
und er schlägt den Bogen zu der Hypothese, dass dies eine Vollendung
des jüdisch-christlichen Monotheismus bedeute. Wir müssen
jetzt in unserem Gespräch nicht weiter darauf eingehen, aber
es ist natürlich ein spannender Aspekt, vor allem wenn man über
die verschiedenen Kulturen hinausgeht, in den asiatischen Raum, wo eine
ganz andere Orientierung vorhanden sein kann.
K: Ja natürlich ist das ein gutes Beispiel, wie es
in Asien gelaufen ist, und läuft ich denke jetzt gar nicht
an Fusionen, sondern an Arten des Wirtschaftens allgemein. Da haben
sich schon ziemlich starke Dinger abgespielt! Noch vor zehn Jahren war
es so, dass man auf einer Reise nach Japan angestaunt wurde, wenn man
den Japanern etwas über ihr Land erzählen wollte, was ja auch
etwas ungerecht war (lacht). In Europa wurde damals ganz stark die Position
vertreten, dass das asiatische Wirtschaftsmodell doch dem europäisch-amerikanischen
überlegen sei. Die Vorstellung, dass die westlich orientierten
Länder stärker auf kurzfristigen Profit setzen, währenddem
man in Asien eher auf langfristige Geschäftsinvestitionen setze,
weil da auch das persönliche Vertrauen eine Rolle spiele, und,
und, und. ... Dies wurde lange Zeit als Überlegenheit des asiatischen
Systems gesehen. Häufig auch bei uns! Wir hatten die Diskussionen,
wo Konrad Seitz sagt ...
B: Wer?
K: Konrad Seitz, der den Bestseller geschrieben hat über
die japanische Herausforderung, und er sagte, Europa werde zur technologischen
Kolonie aufgrund des Wirtschaftssystems und wir werden deswegen den
Kürzeren ziehen. Doch dann "änderte sich zuerst" die Wirtschaft
in Japan. Anschliessend folgten die grossen Währungskrisen, die
Finanzkrisen, ja überall. In Malaysia und in den Philippinen, da
fing es an. Seitdem ist es etwas leiser geworden um das asiatische Modell.
Wenn man als Oekonom darangeht, dann sieht es eigentlich so aus, dass
man, vom Lehrbuch her, einen Marktmechanismus im Kopf hat. Im Prinzip
funktioniert der Marktmechanismus schon von Ausnahmen abgesehen,
darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, dass der Markt nicht
überall funktionieren kann, klar (lacht). Aber er bezeichnet im
Prinzip eine Steuerung, welche geeignet ist, Wirtschaftsbeziehungen
zu regeln. Grund für fehlendes Funktionieren dieses Marktmechanismus
im asiatischen Raum war nun mangelnde Transparenz. Das ist heute eine
der wesentlichen Erklärungen der Finanzkrisen. Von Thailand ging
es damals aus, anschliessend sind die ganzen südostasiatischen,
ehemals stark aufstrebenden Länder in den Strudel gerissen worden.
Und es fehlte eben häufig an Transparenz im Bankensystem, an Transparenz
darüber, ob ein Investitionsprojekt Möglichkeiten biete, etc.
Wenn man sich vorstellt, man lebt in einem System, wo keine Transparenz
herrscht wo ich also nicht anhand von Fakten überprüfen
kann, ob das Investitionsprojekt, in welches ich investiere, solide
ist oder nicht , dann muss ich mich statt dessen auf persönliches
Vertrauen verlassen ... hm. Durch diese Schlussfolgerung kriegt plötzlich
das asiatische Modell wieder einen Sinn: als Art und Weise von Umgang
mit der Intransparenz! Es ist natürlich so, dass die Leute, die
die Fäden in der Hand haben, dieses Vertrauen auch vermitteln können.
Die haben natürlich kein Interesse daran, das System zu ändern,
und so kriegt man dann so weitverzweigte Netzwerke von Familienclans
usw., die Geschäfte am liebsten untereinander machen würden,
weil man in der Familie einander trauen kann. Aber dadurch werden Aussenseiter
natürlich draussen vorgehalten, und die, die drin sind im Netz,
denen geht es viel besser als unter einem marktwirtschaftlichen System,
wo man sich mit lästiger Konkurrenz von aussen rumstreiten muss.
Wenn man das so betrachtet, ist das eigentlich das ineffizientere System.
So würde ich das auch heute sehen wollen. Natürlich ist das
auch ein bisschen schwarzweiß gemalt.
B: Diese Systeme von Transparenz - Intransparenz stehen
sich auch gegenüber. Das gilt auch, wenn man die kulturellen und
gesellschaftlichen Situationen betrachtet. Wenn Krisen, Wirtschaftskrisen,
etc. bestehen, ist die Tendenz des Rückzugs immer vorhanden. Ich
nenn' es einmal ganz konkret: Fundamentalistische Ideen finden da guten
Boden! Also der Rückzug in familienorientierte Systeme steht dann
absolut im Vordergrund.
K: Unterdessen versteht man in Europa die asiatische Art
ganz gut. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn bei einer gleichen Veranstaltung
in Japan auch noch Amerikaner dabei sind, so merkt man ziemlich schnell,
dass man als Europäer, und vielleicht gerade als Deutscher, sehr
viel besseren Zugang zu den Asiaten hat als der Amerikaner, vor allem
im Bereich der Wissenschaften, weil wir Europäer bei einem gemeinsamen
Projekt auch eher eine Investition in eine längerfristige Vertrauenswelt
sehen möchten, während die Amerikaner häufig sagen: Es
geht jetzt um dieses eine Ereignis, und das wollen wir optimal über
die Bühne kriegen. Was dann danach kommt, sehen wir in der nächsten
Runde! Vielleicht kommt danach nichts mehr. Doch das spielt keine Rolle.
Darin gibt's schon unterschiedliche Arten des Herangehens und Investierens.
B: Könnten sie dies auch bezüglich Fusionen sagen,
die global gemacht wurden, jedoch als lokal nicht mehr fixierbare Konzernsysteme
herumschweben? Müsste dies nicht gerade für Kleininvestoren
oder Kleinproduzenten beängstigend sein? Wo sind die Kontakte,
wo nicht und vor allem mit Amerika?
K: Ich denke, Fusionen von Europa aus in den asiatischen
Raum oder auch nach Amerika sind sehr, sehr schwer. Japan
blockt ab und auch ganz offiziell. Also die Intention, eine japanische
Firma aufzukaufen, das geht praktisch nicht! Auch die Zusammenarbeit
ist insofern schwerer wie auch bezüglich der Grundhaltung
in einer strategischen Allianz , da man sich nur innerhalb der
westlichen Welt bewegt. Aber das heisst nicht, dass Fusionen immer nur
in der westlichen-abendländischen Welt problematisch sind. Die
Einstellung in den Amerikanischen Staaten ist viel eher auf kurzfristigen
Erfolg ausgelegt, und in Europa geht es mehr um längerfristige
Investitionen. Auch bei Investitionen, die den Aktienmarkt betreffen,
will man in den USA den Ertrag nicht in zwei Jahren, sondern in zwei
Monaten sehen! Die Unterschiede sind nach wie vor da und sie sind sogar
immens wichtig. Tendenziell besteht natürlich eine gewisse Einebnung
...
B: Inwiefern. Ich versteh das nicht?
K: Also dass sich das Amerikanische Modell durchsetzt!
B: Und was hat das für Gründe, Ursachen?
K: Ich denke, es ist einfach überlegener!
B: Überlegener?
K: Ja, das ist ganz einfach: Wenn ein Amerikaner und ein
Franzose die gleiche Sache anpacken, dann wird der Amerikaner, mit seiner
Art und Weise, an die Dinge heranzugehen, sich vehementer einsetzen,
und das setzt sich dann auch durch. Das ist heute wirklich ein Wettbewerb
der Systeme, der sich nicht im Kalten Krieg der Ideologien vollzieht,
sondern eben vor Ort ... täglich! ...
B: Also der Stärkere ist der Bessere?
K: Ja ja, ... und so funktioniert der Markt dann auch ...
oder besser: So irgendwie funktioniert der Markt dann DOCH!
B: Gut. Aber Sie haben in Ihrer Publikation über Megafusionen
ein paar Beispiele erwähnt, wo es nicht so war. Wo die Europäer
vehement und mit Erfolg versucht haben, sich durchzusetzen. Z.B. uneingeschränkte
Rechte Amerikanischer Airlines auf Flughäfen wurden abgelehnt.
K. Ja, das beruht natürlich auf der Tatsache, dass die Amerikaner
versuchen, ihre Position immer durchzusetzen. Wenn man mit einer amerikanischen
Firma einen Vertrag abgleicht, wird immer amerikanisches Recht gelten;
und häufig ist auch der Gerichtsstand in den USA. So muss man allein
deswegen schon nach Amerika fahren oder sich eine amerikanische Kanzlei
nehmen. Da finden es die Amerikaner absolut realistisch, die amerikanische
Auffassung durchzusetzen. Wir sehen es derzeit auch beim Streit um den
Sitz des Internationalen Gerichtshofes. Der Streit kommt daher, dass
sich der Amerikaner nicht vorstellen kann, einen amerikanischen Soldaten
vor ein anderes als vor ein amerikanisches Gericht zu stellen.
B: Nochmals zurück zu den Investitionen in Verbindung
der Globalisierung: Welche Möglichkeiten zur lukrativen wirtschaftlichen
Investition im lokalen Bereich sehen Sie als Prognose
für Orte, deren Kapital sich hauptsächlich auf einen Konzern
stützt? Waren ähnliche Tendenzen bereits schon mal vorhanden,
zum Beispiel Monokulturen? Werden ähnliche Problematiken bei globalen
Konzernen aktuell?
K: Ja und nein, also ich sehe die Gefahr nicht, dass nur
noch die grossen Konzerne da sind und alles andere um einen rum umkommt.
Das sehe ich eigentlich nicht so. ... Wir haben natürlich eine
Fusionswelle von noch nicht bekannten Grössen der Zusammenschliessungen.
Wir stellen aber auch eine Ausweitung der Märkte fest! Solange
Märkte schneller wachsen als Unternehmen, sind Unternehmen
relativ gesehen nicht grösser geworden, sondern vielleicht
sogar kleiner! Und wir sehen ebenfalls in der Produktionstechnologie,
dass es sich lohnt, gerade in der derzeitigen Umbruchsphase, in viele
Lücken einzusteigen die ganze New Economy gibt es ja gerade
erstmal seit kurzem! Da gibt es natürlich auch viele Flops, aber
auch ...
B: Ja natürlich entspricht die Krise der New Economy
eher einem Gesundschrumpfen ...
K: Ja, ... aber wir haben auch viele, die es geschafft
haben. Von daher, so denk' ich, ist Platz genug. Die Tendenz also, dass
die grossen um sich rum alles ersticken, würde ich so eigentlich
nicht sehen. Das mag anders sein, in der Dritten Welt, wenn da an eigenständiger
Wirtschaft gar nichts vorhanden ist, und dann ein grosser Konzern dahingeht
und alles dominiert. Aber da fragt sich natürlich auch, wo wäre
die Alternative: Wenn nichts da wäre, dann wäre gar nichts
vorhanden. ...
B: Das würde dann dieser Monopolisierung entsprechen,
die ich meinte? Was würden sie denn heute als Dritte Welt bezeichnen?
K: Dritte Welt gibt es eigentlich nicht. Die Dritte Welt
ist sehr, sehr heterogen.
B: Es gibt sie eigentlich nicht mehr. Also man kann wahrscheinlich
nicht von einem nicht mehr beachteten oder vor sich hin vegetierenden
Afrika sprechen, aber ...
K: Gut, ... ein anderes Beispiel wäre, was wir in
der Zwischenzeit in Bangladesch erleben. Das ist ein riesiges Problem.
Es liegt direkt neben Indien. Indien berappelt sich, natürlich
auch in einer immensen Spannbreite. Der Trend ist gegeben, aber in Bangladesch
passiert gar nichts.
B: Herrscht da nicht eine familienorientierte Investitions-
Wirtschaftssituation?
K: Ja, das heisst dann Korruption, als Problem. (lacht)
B: Klar ...
K: Das eigentliche Problemkind natürlich ist Schwarzafrika,
wo sich seit Jahrzehnten gar nichts getan hat. Und die Bevölkerung
wächst schneller als das Sozialprodukt. Da geht es wirklich bergab.
Mit Ausnahmen vielleicht, wie Südafrika.
B: Afrika ist sicher ein Thema, welches noch einmal speziell
aufgegriffen werden sollte. Doch zurück: Was ich intuitiv
die kulturelle Situation bezeichne: Die Tendenz zu Monokulturen
besteht also nicht und es wird genug Platz geben für kleinere Investoren.
Doch wie ist die Beziehung zu den grossen Konzernzusammenschlüssen,
die so nicht mehr handhabbar sind, die oft losgelöst von den Staaten,
dem Nationalstaat, existieren?
K: Meistens haben sie irgendwo ein Headquarter, einen Konzernsitz.
B: Oder einen Briefkasten ...?
K: (lacht) Wenn es natürlich nicht so ein grosser
Konzern ist, denn ich glaub' nicht, dass DaimlerChrysler nach Liechtenstein
gehen wird.
B: Aber Banken doch ?
K: Banken schon, unter Umständen ... Aber die Deutsche
wahrscheinlich auch nicht.
B: Aber was kann sich durch Fusionen entwickeln
wenn ich das auch positiv sehe für den kulturellen Bereich,
der ja einen lokalen Charakter hat? Eine Frage, die immer wieder auftaucht:
Wo bleibt die Identifikation des Arbeiters, der lange Jahre bei Daimler
gearbeitet hat? Kann sich der jetzt mit dieser neuen Konzernstruktur
identifizieren, die auf einmal zwei verschiedene Autos als Image verbindet?
Er weiss ja, sein Kollege in Detroit identifiziert sich mit Chrysler.
Ist rein menschlich so etwas überhaupt vorstellbar?
K: Die persönliche Identifikation mit der Arbeit ist
sicherlich stark im Umbruch. Die Positionen bei Daimler wurden früher
ja vererbt! (lacht). Das ist sicherlich ein Auslaufmodell. Ich würde
vermuten, dass sich heute der Daimlerarbeiter mit dem Daimler identifiziert
und der Chryslerarbeiter mit dem Chrysler! Aber das löst sich natürlich
auf! Der Roverarbeiter war nie bereit, sich mit BMW zu identifizieren.
Und dann endete praktisch alles da, wo Rover auch nicht mehr existiert
hat.
B: Wenn Sie sagen "es löst sich auf", was ist vorstellbar
in Sachen wirtschaftliche Tendenzen? Was kommt vermutlich als Ersatz
dafür? Wird es eher etwas sein, was wir übrig haben durch
die Informationsgesellschaft, z.B. dass man sich mit den Aktien identifiziert?
K: Sicherlich tritt eine weitere Individualisierung anstelle
dieser Identifikation, die wir hier haben. Wir haben in unserem Gespräch
den grossen Bogen geschlagen und Sie haben ihn ja angesprochen
Die Moderne ist ja die Individualisierung, die so irgendwie um
die Jahrhundertwende des 20. Jh. eingesetzt hat. Damit ist die Grossfamilie
aufgelöst worden. Im Moment sind wir gerade dabei, die Kleinfamilie
aufzulösen, würd' ich sagen. Natürlich fehlt da was!
Wir haben ja in Ostdeutschland gesehen, dass der Ersatz für Gross-
und Kleinfamilie der soziale Zusammenhalt im Freundeskreis war. Dadurch
war es möglich, sich gegen die Staatswirtschaft, gegen die internen
Ideologien, gegen die ständigen Probleme durchzusetzen, irgendwelche
Dinge zu erhalten, die es sonst nicht gab. Das war für die Ostdeutschen
wirklich ein Schock, als sich diese soziale 'Nestwärme' aufgelöst
hat. Das Nest ist weg! Und wenn ich das auch für Westdeutschland
sehe, dann ist das Nest immer zugefüllt worden, ohne dass es dafür
einen Ersatz gab! Es gibt natürlich Gegenbewegungen, klar ... Eine
Sprache gegen die Globalisierung scheint mir das Aufkommen des Nationalismus
zu sein, womit ich ehrlich gesagt nicht gerechnet hätte, von dem
man geglaubt hatte, er sei schon längst passé! Doch mit
Hass zwischen verschiedenen Nationen glaubt der Nationalismus Identifikation
zu schaffen. Das Auflodern des Balkankrieges, das Auseinandergehen der
Slowaken, usw . ... Also rein oekonomisch gesehen war das nicht klug!
Zumindest für die Slowaken nicht. Es gab nur Freiheitsbewegungen,
die auf Defizite bauten! ...
B: Ja, so gibt es einerseits die parallel existierenden
Tendenzen von Nationalismus bis zum Fundamentalismus, wo die andere
"intransparente" Wurzel hochkommt. Die Orientierung liegt da in der
Familie, teilweise völlig patriarchalisch ... und auf der andern
Seite eben, was ein zunehmendes Abstrahieren des Lebens und des Wirtschaftens
ist. Durch die Informationsgesellschaft werden Möglichkeiten geschaffen,
aber auch ein Vakuum aufgebaut, und so ist die Frage, was ist nun besser.
Ist es dieser neue Geldbegriff, den wir haben, der immer wichtiger wird?
Aber gerade nicht als Fetisch mit dem Anbeten des goldenen Stiers,
von der jüdischen-christlichen Religion in den Schriften von Moses
beschrieben sondern es handelt sich um eine völlig abstrahierte
Ebene.
K: Nun das Investieren und Wirtschaften wird ja
letztlich getrieben von einzelnen handelnden Menschen! Es sind keine
Naturgesetze und es handelt sich nicht um Verschwörungen irgendwelcher
Gruppen und mächtiger Leute. Es ist nun mal so, dass offenbar überall
auf der Welt die Leute das unstillbare Bedürfnis haben im McDonald's
zu essen. (lacht) Oder CocaCola zu trinken, und das ist der Siegeszug
des American Way of Life an sich. Der ist ja an McDonald's und CocaCola
fantastisch festzumachen. Ich glaub nicht, dass es noch irgend ein Land
gibt, wo es keinen McDonald's gibt. Vielleicht Kuba? Weiss ich nicht.
(lacht) Den Leuten fehlt natürlich andererseits die kulturelle
Identität oder die 'Nestwärme'. Aber wenn sie die Wahl haben,
in die Nestwärme zu investieren, oder doch noch bei McDonald's
den Hamburger zu essen, dann entscheiden sie sich doch in der
Realität dafür, den McDonald's zu besuchen.
B: Vielleicht, weil eine etwas zukunftsweisendere Identität
zustandekommt?
K: Ja ...
B: Es gibt auch das Phänomen des billigen, schnellen
Luxus'.
K: Auch weil wir hier die Problematik eines öffentlichen
Gutes erwähnen. Also wenn ich in das Sozialklima investiere, dann
kann ich davon ausgehen, dass mein Markt relativ gering ist, dass ich
da nicht viel profitiere, wenn ich da investiere. Wenn es alle tun würden,
dann würde es funktionieren. Schliesslich kommt aber der 'Schwarzfahrer'
und sagt: Wenn alle anderen das tun, dann muss ich selber nicht auch
noch investieren, aber ich habe, wenn alle es getan haben, meinen Nutzen
von diesem sozialen Klima. Bei McDonald's stellt sich diese Frage nicht
mehr. Da geh' ich rein und ich hab den Hamburger, oder ich geh nicht
rein und ich habe ihn nicht! Das ist ein rein privates Gut, wofür
ich mich selber entscheiden kann. Und wo es nicht von den anderen abhängt,
kann ich niemanden beeinträchtigen. So bleibt es irgendwie üblich
in der Menschheitsgeschichte , dass man den Verfall der
Loyalität beklagt, und gleichzeitig betont, es mögen doch
alle zur Restauration der guten Werte beitragen. Jedoch herrscht doch
die Handlung nach den eigenen Werten vor! Es gibt da ein Zitat, was
meint: Wir erwarten vom Bäcker auch nicht, dass er uns die Brötchen
liefert, nur weil sie unserem Wohl dienen, ohne dass er Profit machen
würde. Wir freuen uns natürlich, dass er uns das Brot backt,
doch erwarten wir es nicht nur zum Gemeinwohl. Wenn man dem Eigennutz
wirklich freie Hand lässt, dann kann es zum Wohle aller sein. Doch
funktioniert es natürlich nur da, wo es um Privatgüter geht,
da, wo das einzelne Gut für eine einzelne Person produziert wird.
Wenn es aus irgendeinem Grund auf öffentlichen Wunsch hin gemeinsam
produziert wird, verhält sich das anders, weil ich als einzelner
immer versucht bin, mich als Schwarzfahrer zu begreifen. ...
B: Weil man sich als Schwarzfahrer ja dadurch auch ein
bisschen Mehrwert für sich selbst verspricht ...
K: Ja ...Wie gesagt, wenn alle an dem Sozialklima schaffen
und was ich an Einstellung mitbringe ich hab ja nichts
damit zu tun und das geht dann so weiter. Nun, ... wenn alle aber es
nicht tun und ich entscheid' mich jetzt, ein sozialer Mensch zu werden,
dann würde die Welt kein bisschen besser werden. ... So denk ich,
dass es eine wirtschaftliche Erklärung gibt, wieso sich eigentlich
soziale Gruppen immer stärker auflösen. Man könnte das
noch ein bisschen unterfüttern damit, dass der Staat mit der gesetzlichen
Sozialversicherung auch etwas dazu beigetragen hat, dass die Solidarität
des Ausgleichs innerhalb der Familie aufgelöst wird.
B: Ja, jedoch wehre ich mich etwas gegen die Behauptung,
dass sich soziale Gruppen auflösen, ich denke, solche Tendenzen
gibt es immer wieder, und so wie ich irgendwie glaube, dass ...
K: Die werden immer kleiner, die Gruppen!
B: Die werden kleiner, aber auf der anderen Seite werden
auch Gemeinden grösser...
K: ... Da gibt's übrigens interessante Modelle, die
sich fragen also in der Realwirtschaft: Wie gross ist das ideale
Netzwerk. Das kleine Netzwerk leidet daran, dass man nicht genug Impulse
hat von verschiedenen Leuten; das grosse Netzwerk leidet, weil man nicht
genügend in die Tiefe gehen kann. Und da muss man eben Überlegungen
starten, wie man dieselben stabilisiert. Das kann implodieren oder explodieren
und die Frage bleibt: wie schafft man es, gerade ein Optimum zu erreichen?
B: Vielleicht indem es Kontextbezogen aufgebaut wird. Denn
jeder Kontext verlangt eine spezifische Grösse, die sich als optimal
darstellen lässt.
K: Natürlich, doch hat man es ja nicht in der Hand,
ob nun die Gruppe von 24 oder 200 Gliedern wächst oder schrumpft.
B: Dies bringt mich auf einen weiteren Problempunkt: Sie
haben sich in einer Ihrer Publikationen zu der Rolle des Konsumenten
geäussert.
K: Ja ...
B: Und dabei das Desinteresse des Konsumenten am eigentlichen
Produktionsprozess erwähnt.
K: Ja, normalerweise interessiert den Konsumenten nicht,
wie etwas produziert wird.
B: Genau!
K: Mit der Ausnahme der Thunfischkonserve, (lacht) die
mit oder ohne Delphinbeilage produziert werden kann. Übrigens sind
da sehr interessante kulturelle Unterschiede besprochen worden. Ein
bekannter Theoretiker, ein Inder, der in den USA lehrt, hat darüber
geschrieben. Er sagt: Die Delphinpräferenz ist Kulturimperialismus!
Er würde sich als Inder nicht von einem Europäer vorschreiben
lassen, ob er einen Hang zu Delphinen hat oder nicht. (lacht)
B: Natürlich, dies betrifft die lokal und kulturell-ethisch
bezogenen Werte, worin schon Unterschiede existieren. Wo findet man
da Ebenen, dieses Geflecht gemeinsam zu regeln?
K: Nun, im erwähnten Beispiel ist man bestrebt, diese
(Delphin-)"Schlächter" weltweit zu ächten und auch die Inder
mit einzubinden und sie möglicherweise auch zum Boykott aufzurufen
und zu verpflichten: Wenn ihr nicht mitmacht, dann ... Grüne Gedanken
sind, glaub' ich, etwas Westliches ...
B: Natürlich, man geht ja in Europa
viel stärker davon aus, man habe etwas falsch gemacht. Man muss
büssen für etwas ... und man muss irgendetwas wieder gutmachen.
Das treibt ja den oekologioschen Bewusstwerdungsprozess.
K: Andererseits haben wir natürlich
nur einen Globus! (lacht)
B: Eine andere Frage: Einerseits kommt man nach wie vor
mit dem Volksglauben über die Runden, Geld ist nicht schön,
doch ist es beruhigend, wenn man weiss, man hat es und andererseits
werden die Forschungen nach Marktankurbelungen zwecks besserer Investitionen
immer komplexer und damit auch unvorstellbarer. Welche Ebenen der Untersuchungen
dieser ganz bodenständigen Verhältnisse und ziemlich virtuellen
Spielereien lassen sich dabei anwenden? Gibt es da Methoden, Verbindungen?
K: Was man feststellen kann: Einerseits verbindet die in
Richtung 'global village' verstärkte Vereinheitlichung den Konsumenten
über Regionen hinweg. Also zum Beispiel die Autokonzerne versuchen,
Autos zu bauen, ein bestimmtes Modell. Nicht für einen Markt, sondern
für alle Märkte! Andererseits ...
B: Also, ich bau' dieses Auto hier, wo es benutzt wird,
und das andere für den andern am andern Ort.
K: Ja, andererseits, innerhalb der Regionen oder über
die ganze Palette hinweg, sind doch starke Auffächerungen feststellbar.
Das ist sicherlich auch ein Wert an sich: die Konsumenten zwischen den
verschiedenen Regionen unterscheiden sich zwar nicht mehr so sehr, aber
sie legen immer grösseren Wert darauf, sich innerhalb ihres Bereiches
von ihrem Nachbarn abzugrenzen. Das wird natürlich auch stark unterstützt
durch die Technik, die es erlaubt, mit geringem Aufwand herzustellen
... Aber das war keine Antwort auf Ihre Frage, denk' ich ...
B: Nein, aber es bestätigte mir die Vorstellung, die
ich mir versuche zu machen jetzt müsste ich die Wandtafel
für eine Skizze benutzen Ich habe die Vorstellung: Es gibt
die kleinen Orte, die Regionen, die Quadrate hier unten, und darüber,
über allen, steht als Block oder schwebt eine Art
Wolke, unvorstellbar, dimensionslos: Der Konzern. Die Frage ist also,
ob das Produzieren an einem einzelnen Ort nur wiedergibt, was man da
in dieser Region haben möchte ...
K: ... Sie meinen, dass es nicht passt (zu dem übergeordneten
System/Konzern)
B: Ja, ... und andererseits könnte diese Konzernstruktur,
welche eigentlich nicht fassbar ist, auch eher als eine neue nomadisierende
Situation der Werte aufgefasst werden.
K: Sicherlich.
B: Man könnte sich also vorstellen, diese Regionen
sind nur Handelsorte, wo Produkte ausgetauscht und gehandelt werden.
Es gibt ja einen Tausch von Devisen und Produkten. Ob das dann in der
vertikalen funktioniert, also in der Linie von den unteren Quadraten
zum Block darüber ...
K: Aber, wenn die Leute in den einzelnen Regionen ihre
massgeschneiderten Produkte wollen, dann wird ja der Konzern, oben in
der Wolke, der diese massgeschneiderten Produkte liefert, mehr verdienen
als jener, der nicht das massgeschneiderte Produkt herstellt. Nur die
Tatsache, dass dieser Konzern da drüber liegt, heisst ja noch nicht,
dass im einzelnen die Identität aufgegeben wird!.
B: Das ist meine Frage ...
K: Ich denke eher, die Leute wollen es doch! Sie wollen
diese 'Hamburger' haben! ...
B: Aber ist es denn so, dass zwischen dem oberen Block
und den unteren Quadraten Meta-Ebenen der Produktion entstehen?
K: ... Schichten entstehen, verschiedene Schichten, so
könnte man es darstellen.
B: Ich verstehe, ... und in den Produktionsblöcken
wird produziert.
K: Genau, jedoch die Identifizierung mit dem Unternehmen
beim Bandarbeiter geht sicherlich zurück.
B: Das denke ich auch. Das ist auch eine Frage zu der Arbeit:
In welcher Weise identifiziere ich mich noch mit ihr? Wäre es eigentlich
möglich, dass ich mich mit dieser Wolke als Konzernstruktur identifiziere,
also dem eher nicht mehr fassbaren abstrakten Gebilde? Welche Ebenen
der Abstraktionen würden hier vorgeführt?
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